Es ist wahnsinnig hektisch geworden. Dabei ist der Tannenkopfweg eigentlich eine unspektakuläre Straße. 780 Meter lang, schnurgerade, eine Bushaltestelle, drei Zebrastreifen, 11 Querstraßen und 18 bepflanzte Inseln, die in die Fahrbahn ragen. Mal auf der einen Seite, mal auf der anderen. Das sollte mal den Verkehr beruhigen, führt aber heute zu Stress. Der Tannenkopfweg ist über weite Strecken eine Einbahnstraße, die von beiden Seiten befahren werden kann. Vorfahrt hat man, dann wieder nicht. Alle 50 Meter wird neu gewürfelt. Mal ist der eine dran, dann wieder der andere. Man hupt sich an, man versteht sich nicht. Straßenverkehr als Glücksspiel.

Der Tannenkopfweg ist die Hauptstraße von Frankfurt-Goldstein. Wer zum Briefkasten will, geht wahrscheinlich zu dem am Tannenkopfweg. Wer zum Bus will geht auch zum Tannenkopfweg, oder sitzt schon drin, wenn der Bus in ihn einbiegt. An der Spitze des Tannenkopfwegs ist der einzige Supermarkt in der Nähe. Der nächste ist Luftlinie 1,8 Kilometer in die eine, oder, auch Luftlinie 1,8 Kilometer, in die andere Richtung. Will man in Goldstein also zu Fuß einkaufen, geht man den Tannenkopfweg entlang. Es ist der Weg zur Kita, zum Zahnarzt, zum Friseur und zur Grundschule.
Nur ist der Tannenkopfweg nicht bloß einfach ein „Weg“, auch wenn er so heißt. Er ist eine Kreisstraße. Er zählt zu der Straßenklasse die in Deutschland „zwischen- und überörtlichen Verkehr“ führen soll. Egal wie weit man bei Google Maps herauszoomt, solange man Goldstein noch erkennt, bleibt der Tannenkopfweg als einzige Straße mit Namen eingeblendet. Egal welches Ziel man seinem Navigationssystem vorgibt, ist man grob in der Nähe, führt es einen durch den Tannenkopfweg.

Es führen lediglich drei Straßen nach Goldstein. Die zwei großen – das Schwanheimer Ufer und die Straßburger Straße – bringen den Verkehr an jeweils ein Ende des Tannenkopfwegs. Alle weiteren Straßen in Goldstein lassen sich nur von hier aus erreichen. Der Tannenkopfweg ist dadurch ein klassisches Nadelöhr. Auf der einen Seite die B40 als Weg über den Main nach Höchst, Griesheim und den Nordwesten von Frankfurt. Auf der anderen Seite Niederrad mit 70.000 Arbeitsplätzen in der Bürostadt und seit wenigen Monaten und in den kommenden Jahren mit tausenden neuen Wohnungen.
Die Wege vieler Menschen führen durch den Tannenkopfweg. Mehr als 6000 Menschen leben in Goldstein, etlicher Durchgangsverkehr kommt hinzu. Doch umso mehr Autos es werden, desto ungemütlicher wird es für jeden der zu Fuß oder mit dem Fahrrad auf ihm unterwegs ist. Die insgesamt 18 Verkehrsinseln, die den Tannenkopfweg künstlich verengen und zwischen denen teilweise Parkstreifen sind, machen den Weg fast durchgängig zur ungeregelten Einbahnstraße. Aus welcher Richtung gefahren wird ist per Lichthupe und Geduld ständig neu zu klären. Würden sich morgens und abends alle lediglich streng an die Verkehrsordnung halten – ginge gar nichts. Wer in der Feierabendzeit rücksichtslos in den Tannenkopfweg einbiegt und auf seine Vorfahrt besteht, kann tausend Pendler kaltstellen.
Dass der Tannenkopfweg überhaupt noch als Kreisstraße funktioniert, liegt daran, dass Fußgänger und Radfahrer inwzischen vertrieben worden sind. Kaum jemand lässt sein Grundschulkind im Berufsverkehr morgens über den Tannenkopfweg gehen. Es wäre zwar für viele der kürzeste Weg, aber man kennt die Lage. Wenn pro Stunde 600 Autofahrer an einer Kreuzung aufeinandertreffen, ohne direkt aneinander vorbeifahren zu können – weil eine Verkehrsinsel das verhindert, eine weitere Straßeneinmündung ihre Überraschungen birgt und der Abfluß von der Kreuzung in jede Richtung nur auf einer Spur möglich ist – wird der Fußweg zum Ausweg.
Wenn sich Autofahrer so arrangieren müssen, machen Fußgänger lieber ihren Weg frei. Die Gehwege des Tannenkopfwegs sind im Berufsverkehr Straßen, und man befährt sie aggresiv, damit sich wenigestens etwas bewegt. Man schaut nach vorn, man schaut zurück – das Pflaster des Gehwegs ist ohnehin schon so plattgefahren das man gar nicht merkt, dass man die Straße eigentlich schon verlassen hat. Es dauert ja auch nur 3 Sekunden, was ist schon schlimm daran?

Wenn zudem von Herbst bis Frühling die Dämmerung und schlechtes Wetter dazukommen, sind Straßenecken wie Tannenkopfweg/Am Goldsteinpark besonders gefährlich. Dann fährt zur Stoßzeit jedes Auto auf den Gehweg, hält kurz, lässt den Gegenverkehr abfließen, fährt wieder an. Dann ist der nächste dran. Dass es dort noch nicht zu schlimmeren Unfällen kam liegt allein daran, dass man sich von der Ecke fernhält und die Autofahrer machen lässt. Fußgänger und Radfahrer sind hier die Verlierer im Straßenverkehr.
Bliebe nur einmal ein Fußgänger mutig, aber frech, an dieser Kreuzung auf dem Fußweg stehen, würde also kein Autofahrer mehr ausweichen können, wäre die Straße blockiert. Zur ungünstigsten Zeit würde sich der Rückstau wahrscheinlich bis zur Autobahnabfahrt von der A5 bemerkbar machen. Zuweilen staut es sich auf diesen 1,5 Kilometern aber schon ohne dass jemand den Fußweg überhaupt als Fußweg nutzt.
Wir brauchen eine Lösung dieser Probleme für alle, Autofahrer, Radfahrer, Fußgänger
work in progress…